Karl Günther Hufnagel

 

 

 


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cult - Kulturzeitung der Bayerischen Theaterakademie, Februar 2004

Dunkel des Verstandes
Karl Günther Hufnagel: Aufzeichnungen eines Flüchtigen - Statt einer Autobiographie
von Roland Oßwald

Aufzeichnungen eines Flüchtigen - Statt einer Autobiographie heißt das neue Buch von Karl Günther Hufnagel. Hufnagel legt damit das vierte Buch in drei Jahren vor, vier Bände im Format von Erzählungen, die man als zusammenhängende Quadrologie lesen kann. Nicht zusammenhängend in der Geschichte des Geschehens, sondern zusammenhängend im Geschehenen der Geschichte. Eskalationen im bürgerlichen Leben. Wenn sich die Presse an ihren Bürgern vergeht, vom Betrug lebt und niemand es wahrhaben will, wenn Der Führer es sich auf einmal im Vorgarten heimisch macht und sich seiner niemand annehmen will, wenn dem Nachbarn die Hutschnur platzt und sein Leben in die Irre läuft, dann hält man einen Text von Hufnagel in den Händen. Mühsal, Scham, Haß, Inzest, Mißbrauch, Sucht, Mord, eingebettet in der Natur des Menschen. Hufnagel markiert in seinen Erzählungen einen Weg ins Dunkle des Verstandes, der dem Leser nichts vorzumachen versucht und zugleich das Leben liebt.

Die Aufzeichnungen... erzählen von einem Sohn-Vater-Konflikt. Die Ausschweifungen Vater und Sohns, leiblicher und auch gedachter Art, reißen Wunden in sie selbst, zeigen den Bruch zwischen Generationen. Reißen Wunden ins bayerische und deutsche Land. Kehren Dreck hervor, der den Würmern zum Fraß verbuddelt worden war, aber immer wieder aus dem Boden hervorquillt; über den Tag für Tag Millionen Menschen hinweggehen, sich damit beschmutzen, stets darauf bedacht, im Alltäglichen Zufriedenheit zu finden. In diese Wunden streut sich der fortwährende Überlebenskampf, die Zweifel und Ängste, die in schlimmster Konsequenz den Menschen zum Versagen im Leben führen können.
(...)
Immer wieder ist es Bayern, sind es die psychologischen Sümpfe und Hügel der Menschen, die Hufnagel in seinen Texten aufgreift. Und genau da macht die Lektüre seiner Bücher den größten Spaß, wo die Realität ihren Ernst einbüßt, wo die Geschichte ihren scheinbaren roten Faden verliert, eben da wo einem barocke Engel auf den Schultern hocken und süße Lieder in die Ohren singen, was in Hufnagels Erzählung so klingt: "Die Dinge hängen vom Himmelszelt meines Schauspiels, das ein Zirkus ist, raunen Namen, die sich wie Wörter anhören, mit denen ich in bekannter Weise verfahre. Sie verlieren ihren Charakter, den ich nur vermute. Sie sind in meinem Gehör zu bloßen Wörtern geworden, die ihre Gegenstände suchen, beliebig scheinen sie geworden. Die ich mir vertraut gemacht habe, ergeben die Matte, auf der ich mich rekle, mehr von ihnen, die mir unbekannten, die zweifelhaften herunterzuziehen, bis sie um mich liegen. Ein weicher, undurchdringlicher Panzer, der vor der Zumutung des Verstehens schützt."

Aufzeichnungen eines Flüchtigen - Statt einer Autobiographie. Warum dieser Untertitel? Eins ist klar: es ist eine Erzählung, bestimmt keine Autobiographie. Der Ich-Erzähler gibt sich nie einfach nur Bekenntnissen hin. Er leidet unter den Anforderungen seines Übervaters, des Alleskönners. Das Leid bestimmt seine Überlegungen, Handlungen, die Konsequenzen, die er daraus zieht. Schonungslos, reflektiert, ohne Vertrauen in die Welt, den Freitod in Erwägung ziehend.

Der Erzähler seiht in den menschlichen Bodensätzen seiner Figuren, geht ihnen auf den Grund, scheut keine Abgründe, keine Kreatur ist zu kläglich, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Sie sind ungerecht, brutal gegen sich und andere, mit der Fähigkeit zum Ekel ausgestattet, aber auch mit der zur Liebe. Und dabei sind es immer wieder die Worte, die Syntax, der Rhythmus der Sätze, die Hufnagels Geschichten ihre bissige Form verleihen. Bekannte Ausdrücke erfahren neue Charakteristika, gespeist von der präzisen Beobachtung des Erzählers. Häufig sind es alltägliche, bekannte Situationen, im familiären Heim oder beim Frühschoppen im Biergarten, die Hufnagel mit Befremdlichkeit und Härte versieht, um immer wieder der Realität den Ernst zu nehmen und zugleich Wirklichkeit und Wahn in unserem Land näher zu kommen. Eine Erzählung, die in Form und Inhalt das Heute der Gesellschaft in Deutschland trifft, auf Abwegen ins Dunkle des Verstandes führt, Ekel und Irrsinn, aber auch das Leben und die Hingebung bringt.